Juli 24, 2019

Ein Junge im Lendenschurz hält einem berittenen Elefant ein Palmblatt entgegen. Dieser streckt seinen Rüssel danach aus.

Historische indische Schreibtechniken

Der Legende nach befindet sich für jeden Menschen, den sein Lebensweg einmal in eine indische Palmblattbibliothek hineinführen wird dort ein eigens beschriebenes Palmblatt, dass nur für diese Person beschrieben und nur für diesen Besuchstag konserviert wurde.

Beschrieben wurden Palmblätter bereits vor Jahrhunderten von vedischen Mönchen. Da ich selbst nie in einer Palmblattbibliothek war kann ich zu diesen Legenden nichts sagen. Für mich sind die Palmblattbibliotheken vor allem deshalb interessant, da die aus organischem Material bestehenden Palmblätter nachweislich sehr alt sind.

Schreibtechniken des Altertums

Die Menschen des Altertums entwickelten unterschiedliche Schreibtechniken. Von den verschiedenen Kulturen wurden dafür unterschiedliche Schreibarten genutzt. Die Ägypter schrieben auf Papyrus. Die Sumerer verschendeten Tontafeln und in Indien wurden eben Palmblätter beschrieben.

Das älteste auf Palmblättern geschriebene Manuskript ist nachgewiesenermaßen ungefähr 2.600 Jahre alt. Die große Mehrheit altertümlicher indischer Texte wurden auf Palmblättern verfasst. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, die auf Metalltafeln oder in Steine geritzt wurden.

Bündel beschriebener Palmblätter

Jahrhundertealte Datenträger

Viele der in den öffentlich zugänglichen Palmblattbibliotheken aufbewahrten Palmblätter sind hunderte Jahre alt. Wie nur haben es die Menschen vor so langer Zeit geschafft geschriebene Informationen für viele Jahrhunderte zu konservieren? Weshalb wurden diese Palmblätter nicht zerstört, oder haben sich im Zeitlauf in ihre Bestandteile aufgelöst? Wieso wurden die Blätter nicht von Termiten gefressen? Wieso sind sie nicht langsam in der Luftfeuchtigkeit verfault oder durch menschliche Berührungen zerbröselt?

Vorauswahl und Präparation

Durch die Mönche wurden die Blätter einer bestimmten Palmart begutachtet und vorsichtig ausgewählt. Anschliessend wurden die jungen Blätter geschnitten und in Wasser gekocht um anschliessend für mehrere Tage im Schatten zu trocknen. Nach dem Trockenvorgang polierte man die einzelnen Blätter anschließend noch mit einem Bimmsstein. Erst nach dieser Behandlung waren die Blätter bereit für ihre Verwendung als Informationsspeichermedium. Doch welche Schrift wäre haltbar genug, um schadlos gewaltige Zeiträume von tausenden Jahren Dauer zu überstehen? Welche Art von Stift und welche Tinte wurde dafür wohl vor so langer Zeit verwendet?

Das Werkzeug

Zur Beschriftung wurde eine Art besonderer Stift ohne Tinte verwendet. Dieser Stift wurde aus Elfenbein, Bullen- oder Hirschhorn, Holz oder Metall hergestellt. Es gibt viele sehr unterschiedliche Ausfertigungsarten dieses Schreibwerkzeugs. Häufig befindet sich an dem einen Seite eine Nadel und am anderen Ende ein Messer. Mit dem Messer schnitt man sich das Palmblatt zurecht und mit der Nadel ritzte man dann mit äußerster Vorsicht und genau bemessenem Druck die Wörter in sein Palmblatt. Mit dieser alten Technik können auch heute noch Wörter in Palmblätter geschrieben werden, die dort im besten Fall die Zeit bis in alle Ewigkeit überdauern werden.

Historisches Schreibwerkzeug ohne Tinte

Fälschungssichere Informationsaufzeichnung

Im Gebiet des heutigen Tibet und in Teilen Indiens wurde dieselbe Art der Palmblätterbeschriftung verwendet. Manchmal wurde zusätzlich noch Tinte verwendet. Die meist verbreitete Schreibtechnik bestand jedoch im Ritzen der Blätter ohne Tinte dabei zu verwenden. Heute fragen wir uns, warum die Menschen keine Tinte verwendeten, wie es bereits andere Kulturen taten? Die Antwort auf diese Frage ist wohl, dass es relativ leicht ist Tinte später zu löschen, zu verändern oder zu verfälschen. Es gibt keine Möglichkeit die Inhalte von Palmblätter nachträglich zu modifizieren, wenn die Zeichen eingeritzt wurden. Genau deshalb entschied man sich für diese Technik. So sind die alten indischen Texte bis heute unverfälscht überliefert und weitgehend unverändert erhalten.

Wie überlebten die indischen Palmblätter für viele Jahrhunderte?

Nach Beschriftung der Palmblätter wurde eine Mischung aus Gelbwurzel / Kurkuma und weiterer Gewürze verwendet, um die Blätter zu konservieren und zu schützen. Die angerührte Paste wurde auf allen Seiten aufgetragen, so dass keinerlei Feuchtigkeit in das Blatt eindringen oder ein Insekt das Palmblatt beschädigen konnte. Die alten indischen Texte konnten so die Zeit nahezu unbeschadet überstehen. Nach der Beschriftung wurden die beschrifteten Palmblätter mit Bambus oder Kokosfäden zu einem Stapel zusammengebunden und sortiert.

Besondere Schreibangewohnheiten

Viele Hindus haben noch heute seltsame Angewohnheiten beim Schreiben. Sie zeichnen zu Beginn auf jede zu beschriftende Seite ein bestimmtes eigenartiges Zeichen, bevor sie dort zu schreiben anfangen. Was hat es mit diesem Zeichen auf sich? In Südindien sieht das Zeichen in etwa aus, wie eine unterstrichene Ziffer „2“ mit zwei Punkten. Dieses Symbol hat keine inhaltlich Bedeutung im Zusammenhang mit den verfassten Texten. Man nennt dieses Symbol „Pillayar Suzhi“.

Der erste auffällig geschriebene Buchstabe.

Im Norden Indiens sieht das gleiche Symbol anders aus. Hier wird der Buchstabe „Shri“ in den oberen Bereich jeder Seite notiert, bevor irgendetwas anderes geschrieben wird.

Von Aussenstehenden wird häufig gemutmaßt, dass die indischen Ahnen möglicherweise abergläubig gewesen und ihre Texte daher womöglich jedesmal mit einem Gebet beginnen wollten.

Stellen wir uns vor, dass wir selbst vor ungefähr tausend Jahren in der Lage gewesen wären ein Palmblatt zu beschreiben und der Nachwelt zu überliefern. Würden wir direkt anfangen darauf zu schreiben, wenn wir ein neues Palmblatt vor uns haben? Da jedes Blatt einzigartig ist und trotz gleicher Behandlung unterschiedliche Merkmale aufweisen und im Prozess einreissen oder beschädigt werden könnte, sobald wir einen komplexeren Text darauf schreiben.

Daher mußte jedes Blatt getestet werden, bevor es beschrieben werden konnte. Aus diesem Grund hat sich ein entsprechendes Zeichen bewährt, ein Punkt, eine Kurve und einige weitere Linien, die sicherstellen können, dass das Palmblatt richtig behandelt wurde und für die Beschriftung geeignet ist. Diese praktische Herangehensweise hat sich allgemein durchgesetzt und fand weite Verbreitung in Indien. Dieser Brauch hat sich bis heute überliefert und aus diesem Grund schreiben auch heute noch viele Hindus ein ähnliches Zeichen auf jede Seite, bevor sie mit dem Schreiben des eigentlichen Textes beginnen.

Quelle: Der indische Journalist Praveen Mohan

Über den Autoren

Stephan Bender

Meine Aufgabe besteht darin Qualität zu visualisieren und die Kommunikation von Menschen und Marken zu verbessern, damit die Botschaften so geschärft werden, dass sie bei der Zielgruppe einen optimalen Eindruck hinterlassen kann.

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