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Juli 7, 2013

Die Silhouette eines italienischen Paares, dass einen römischen Säulengang entlanggeht und dabei von einer römischen Statur bewacht wird.

Geschichte der Kurzschriftzeichen

Verwunderlich, dass heute nur so wenig bekannt ist über den Ursprung zweier der wichtigsten Werkzeuge, welche die Zivilisation jemals hervorbrachte. Gemeint ist der Ursprung des menschlichen Schreibens und ihrer Kurzschrift. Diese liegen weitgehend im Dunklen. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Hypothesen, die Ihren Ursprung erklären sollen. Als sicher gilt, dass die Kommunikation durch Zeichen fast so alt ist, wie die Sprache selbst.

Ursprung der Kurzschrift

Die Verwendung von Kurzschriftzeichen lässt sich bis in die Zeit der Phönizier und Hebräer zurückverfolgen. In alten Texten wurden einzelne Schriftzeichen nachgewiesen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Menschen bereits damals über ein komplettes System verfügten. Sollte eine solche Kunstform damals existiert haben, dann wäre sie wahrscheinlich auch geschrieben worden, dafür wurde sie ja erfunden. In der Frühliteratur finden sich jedoch keinerlei Hinweise darauf. Erst nach der Geburt Christi finden sich schriftliche Erwähnungen von „federführenden schnellen Schriftstellern“.

Proäresius in Eunapius sagte:

„Ich wünsche, dass mir schnelle Schriftsteller gegeben werden und diese an einem für alle Augen sichtbaren Ort täglich die aktuellen Themen notieren, während sie mir ab heute Wort für Wort folgen.“

Alter der Schriftzeichen

Nach der Überprüfung von Hypothesen verschiedener Autoren, die sich mit dem Alter der Kurzschrift befassten schreibt der Historiker Norman P. Heffley’s in „Geschichte und Literatur der Stenographie von Dr. Julius Woldemar Zeibig“ aus dem Jahre 1895 (Ancient and Mediaeval Shorthand),

http://archive.org/stream/geschichteundli00faulgoog/geschichteundli00faulgoog_djvu.txt

„Die Schrift hat die Aufgabe, die Sprache in sichtbaren Zeichen darzustellen oder festzuhalten. Ohne Sprache gibt es keine Schrift… Die Entstehung der Buchstabenschrift liegt im Dunkeln. Dass ihre Lautzeichen ursprünglich Bildzeichen waren, ist höchst wahrscheinlich, aber ihre Entwicklung aus der ägyptischen Schrift, wie sie die Ägyptologen (Rougi, Grugsch u. a.) nachweisen wollten, kann vor einer ernsten Kritik nicht bestehen; auch der Nachweis, dass sämmtliche Buchstabenschriften aus einer Quelle stammen sollen, wie ihn Lenormant versuchte, ist nicht gelungen. Tatsache ist nur, dass die Buchstabenschrift vor mehr als 2500 Jahren in Phönizien im Gebrauch war, wo sie aus 22 Lautzeichen bestand; aber auch andere Völker besassen Lautreihen von mehr oder weniger Zeichen. Die nordischen Runen hatten deren nur 16.“

Die tironischen Noten

Tironische Noten
Tironische Noten

Ungefähr im Jahr 63 v. Christus war das Kurzschriftsystem im alten Rom bekannt und wurde erstmals praktiziert. Tiro schrieb damals in der ersten bekannten Aufzeichnung die Rede des jüngeren Cato gegen den putschenden Catilina nieder. Lange Zeit wurde behauptet, dass Cicero der wahre Gründer dieser Kurzschrift war.

Die Geschichte hat allerdings gezeigt, dass das System maßgeblich von seinem ehemaligen Sklaven geschaffen wurde. Marcus Tullius Tiro gebührt die Ehre dieses Kurzschriftsystem erfunden zu haben. Er war der ehemalige Sklave von Cicero, der nachdem er in die Freiheit entlassen wurde sein eigenes Kurzschriftsystem vervollständigte. Dieses System ist uns heute unter dem Namen: „Tironische Noten bekannt.

Um das gesprochene Wort schnell festhalten zu können, hat Tiro eine Kombination verschiedener Techniken angewandt. So entwickelte er ein an die 4.000 Schriftzeichen umfassendes Repertoire, das von seinen Schülern Vipsanius Filagrius und Aquila noch erweitert wurde.

Proben tironischer Noten von Marcus Tullius Tiro.
Proben tironischer Noten von Marcus Tullius Tiro.

Schreibkunst im alten Rom

Antike römische Schreibtafeln
Antike römische Schreibtafeln

Die Kenntnis von Abkürzungen war früher jedem Römer zu eigen. Nahezu auf
jedem Schriftstück kamen Sie vor, auf Inschriften, Schildern und Staatsfahnen. z.B. als S. P. Q. R. (Senatus Populusque Romanus dt: „Senat und Volk von Rom“) Der Schriftsteller Sueton erzählt, dass selbst Kaiser Augustus persönlich, seine Enkel litteras et no^ tare gelehrt habe. Es wird jedoch angenommen, dass es sich hierbei um Abkürzungen und nicht um das komplette tironische Kurzschriftsystem handelte.

Plinius der Ältere ließ sich ständig und überallhin von einem Schriftsteller an seiner Seite begleiten, der seine Einfälle live mitschreiben konnte. Um diese Zeit erhielt auch das Wort dictare, welches ursprünglich, „oft sagen, vortragen, befehlen“ bedeutete, den Sinn unseres heutigen dictieren, woraus im Mittelalter das deutsche Wort „Dichter“ entstand.

dictare … dictieren … Dichter

Quelle: Commentarii Notarum Tironianarum
Quelle: Commentarii Notarum Tironianarum

Aufbau der tironischen Schriftzeichen

Tiros System nahm einige Aspekte der modernen Stenografie vorweg, doch vom allgemeinen Charakter her unterscheiden sich die Tironischen Noten deutlich von der heute verwendeten Kurzschrift.

Tiros System war folgendermaßen konstruiert:

1. Verwendung unterschiedlicher Schriftarten
Dadurch konnten einem Buchstaben mehrere eindeutig identifizierbare Abkürzungen zugeteilt werden. Zur Auswahl standen die klassischen Majuskeln wie sie etwa in Inschriften verwendet wurden, die griechischen Buchstaben, die römische Buchschrift, sowie eine kursive Schreibschrift.

A Majuskeln … α Griechisch … a Buchschrift
a Kursivschrift

2. Aufteilen der Buchstaben in Buchstabenanteile
Zur weiteren Unterteilung nahm Tiro Teile aus Buchstaben heraus und verselbständigte sie zu eigenen Zeichen, z.B. ein A ohne Querstrich.

alius alius adad quid quid

3. Zusammenfügen von Buchstaben
Zwei Buchstaben in bestimmter Position aneinandergefügt ergeben neue Zeichen; vgl. das später aufgekommene Æ

igitur igitur sese ad … Æ A-E Ligatur (erst später)

4. Lageänderung von Buchstaben
Dreht man einen Buchstaben auf den Kopf, stellt ihn quer, spiegelverkehrt oder schräg ergeben sich aus bekannten Buchstaben wiederum neue Abkürzungen.

Buchstabe regulär Buchstabe 90° gedreht Buchstabe 180° auf den Kopf gestellt

5. Der springende Punkt
Ursprünglich zeigte ein Punkt hinter einem Buchstaben an, dass es sich um eine Abkürzung und kein Einbuchstabenwort handelte. Tiro beseitigte diese Funktion und wies dem Punkt neue Bedeutungen zu. Je nachdem wo er sich nun bei einem Zeichen befand – ob links unten, rechts oben, in doppelter Ausführung usw. stand der ursprüngliche Buchstabe für eine neue Bedeutung.

Einzelzeichen Variante Variation Einzelzeichen Variante 2 Variation Einzelzeichen Variante 3 Variation

6. Durchkreuzung von Buchstaben
Als bereits bekannte Idee nutzte Tiro mit der Durchkreuzung einzelner Zeichen noch die Sitte aus dem Bereich der römischen Zahlen, wo aus einem durchstrichenen I = 1 bekanntlich ein X = 10 und damit ein neues Zeichen wird.

Einzelzeichen i Buchstabe Einzelzeichen xDurchkreuzt

7. Betonung von Buchstaben
Wie auch in der modernen Stenografie bezeichnet die verstärkte Schreibung eines Zeichens eine andere Bedeutung und Tiro verfuhr damals ebenso.

Einzelzeichen ab ad Einzelzeichen quam quam

Weiterentwicklung des ursprünglichen Systems

Mädchen mit Wachstafelbuch und Stilus (Quelle: Herculaneum)
Mädchen mit Wachstafelbuch und Stilus (Quelle: Herculaneum)

Das Schnellschreiben wurde in römischen Schulen gelehrt. Seine Anwendung war bis ins Altertum weit verbreitet. Selbst Caesar persönlich liess sich in dieser Schreibkunst weiterbilden. Die frühchristlichen Konzilien wurden ebenso in den tironischen Noten protokolliert wie die Predigten des Augustinus und andere Schriftstücke der damaligen Zeit.

Die fachkundigen Anwender, die sogenannten „Notare“ hatten sogar ihren eigenen Heiligen: Cassianus von Imola. Der wurde einst als Schriftenlehrer in Rom während der Christenverfolgungen von seinen eigenen Schülern erstochen – mit Schreibgriffeln.

Der Dichter Aurelius Prudentius berichtete über dieses Drama in Versen.

„Sieh, wir geben zurück dir so viele tausend von Noten,
Wie stehend weinend wir dereinst von dir gelernt;
Punkte zu stechen, wie freut’s
und Furchen zu ziehen auf Furchen,
Mit Bogenlinien zu verknüpfen Strich an Strich
…“

von Aurelius Prudentius Clemens

Kurzschrift im Mittelalter

Im Mittelalter umfaßte Tiros Schrift weit über 10.000 erlernbare Noten und wurde vor allem in klösterlichen Skriptorien gepflegt. Typische Tätigkeiten bei denen die „Tironiana“ zum Einsatz kam waren das korrigieren, exzerpieren und kommentieren religiöser Texte.

Die Gründe für den Rückgang der Tironischen Noten sind nahezu unbekannt. Zur Zeit des Mittelalters geriet die Kurzschrift fast wieder in Vergessenheit. Über Ihre Anwendung ist jedenfalls nichts bekannt. Mit fortschreitender Entwicklung der eigentlichen Stenographie ausgehend von England verloren die Tironischen Noten ab dem 17. Jahrhundert ihren praktischen Wert.

Entzifferung tironischer Noten

Tironische Noten
Tironische Noten

Die Entzifferung tironicher Noten wäre wahrscheinlich ebenso schwer, wie die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen. Glücklicherweise sind jedoch Schriftstücke mit currentschriftlicher Übersetzung überliefert worden.

Der erste, welcher den Schlüssel dieser Kurzschrift fand, war der gelehrte Abt Trithemitis welcher um 1496 einen Pergament-Codex vor dem Abschaben rettete und in einem dem Kaiser gewidmeten Werke „De Polygraphtat“ einige dieser Noten veröffentlichte.

 

 

 

Über den Autoren

Stephan Bender

Meine Aufgabe besteht darin Qualität zu visualisieren und die Kommunikation von Menschen und Marken zu verbessern, damit die Botschaften so geschärft werden, dass sie bei der Zielgruppe einen optimalen Eindruck hinterlassen kann.

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